Allan Kardec und die Entstehung des Spiritismus:
Teil 5
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6) Rivail wird damit beauftragt, die Lehren der Geistwesen zu verbreiten

Ende April 1856 teilten die Geistwesen Rivail mit, dass sie ihn mit dem Auftrag betrauen würden, ihre Lehren zu verbreiten. Durch diese Mitteilung überrascht, fragte er am 12. Juni, auf einer Sitzung zur Kommunikation mit Geistwesen, seinen Führergeist, ob er dies bestätige. So ergab sich folgender Dialog:

Führergeist: »Ich bestätige, was dir mitgeteilt wurde. Aber ich empfehle dir, Diskretion zu bewahren, wenn du dabei Erfolg haben möchtest. Später wirst du Dinge erfahren, die dir erklären werden, was dich jetzt überrascht. Vergiss nicht, dass du erfolgreich sein oder versagen kannst. In diesem Fall würde dich jemand anders ersetzen, denn die Absichten Gottes ruhen nicht auf den Schultern eines einzigen Menschen. Sprich daher niemals über deinen Auftrag; dies würde zu dessen Scheitern führen. Er kann sich nur durch das vollendete Werk rechtfertigen, doch du hast noch nichts getan. Wenn du ihn erfüllst, werden die Menschen früher oder später deine Arbeit zu schätzen wissen, da man an den Früchten die Qualität des Baums erkennt.«

Rivail:          »Ich möchte mich sicherlich nicht mit einem Auftrag brüsten, den ich selbst kaum glauben kann. Wenn ich aber als Werkzeug für die Pläne der Vorsehung dienen soll, dann möge sie über mich verfügen. In diesem Fall bitte ich um deinen Beistand und um den der guten Geistwesen, um mir bei meiner Aufgabe zu helfen und mich zu unterstützen.«

Führergeist: »Unser Beistand wird dir nicht fehlen, aber er wird nutzlos sein, wenn du nicht tust, was erforderlich ist. Du hast deinen freien Willen, den du nutzen kannst, wie du willst. Kein Mensch ist gezwungen, irgendetwas zu tun.«

Rivail:          »Was könnte zu meinem Scheitern führen? Vielleicht die Unzulänglichkeit meiner Fähigkeiten?«

Führergeist: »Nein, aber die Mission der Reformatoren wimmelt von Hindernissen und Gefahren. Ich warne dich vor, dass deine nicht leicht sein wird, denn es geht darum, die ganze Welt zu bewegen und zu erneuern.

Denke nicht, dass es dir genügt, ein Buch, zwei Bücher oder zehn Bücher zu veröffentlichen, um danach ruhig zu Hause zu bleiben. Du musst dich aufopfern. Du wirst furchtbaren Hass auf dich ziehen; erbitterte Feinde werden sich verschwören, um deinen Ruf zu ruinieren; du wirst mit der Böswilligkeit, der Verleumdung und dem Verrat sogar von Menschen zu kämpfen haben, die dir am loyalsten erscheinen werden. Deine besten Erläuterungen werden verkannt und verzerrt werden. Mehr als einmal wirst du an Erschöpfung zusammenbrechen. Kurzum: Du wirst beinahe kontinuierlich mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben und dabei deinen Schlaf, deine Ruhe, deine Gesundheit und sogar dein Leben opfern. Denn ohne all das würdest du viel länger leben.

Es sind nicht wenige Menschen, die zurückschrecken, wenn sie, anstatt einer rosigen Straße, nur Dornen, scharfe Steine und Schlangen entlang des Weges vorfinden. Für solche Missionen reicht Intelligenz allein nicht aus. Zunächst sind Demut, Bescheidenheit und Selbstlosigkeit notwendig, um Gott gefällig zu sein, da er die Hochmütigen, Überheblichen und Ehrgeizigen rügt. Um trotz des Widerstandes der Menschen für etwas zu kämpfen, sind Mut, Beharrlichkeit und unerschütterliche Entschlossenheit unerlässlich. Erforderlich sind ebenfalls Vorsicht und Takt, um die Dinge auf angemessene Weise zu lenken und deren Erfolg nicht durch unpassende Worte oder Maßnahmen zu gefährden. Zum Schluss sind Hingabe, Entsagung und Opferbereitschaft notwendig. Damit siehst du, dass dein Auftrag Bedingungen unterliegt, die von dir abhängen.«

Am Ende dieser Botschaft, die vom jungen Medium Aline C. schriftlich empfangen wurde, unterschrieb das Geistwesen mit den Worten Geist Wahrheit. Kurze Zeit später begann es zu unterschreiben: Geist der Wahrheit. Rivail bedankte sich für die weisen Ratschläge und nahm den Auftrag trotz der geschilderten Schwierigkeiten an. Viele Jahre später schrieb Rivail folgende Anmerkung dazu:

“Ich schreibe diese Anmerkung am 01. Januar 1867 – zehneinhalb Jahre, nachdem ich die oben stehende Mitteilung erhielt – und ich bestätige, dass sie sich in allen Punkten bewahrheitete. Denn ich erlebte alle Drangsale, die mir vorausgesagt worden waren: Ich wurde mit dem Hass erbitterter Feinde, der Beleidigung, der Verleumdung, dem Neid und der Eifersucht konfrontiert. Niederträchtige Pamphlete wurden gegen mich veröffentlicht. Meine besten Erläuterungen wurden verzerrt. Ich wurde von jenen verraten, denen ich am meisten vertraute. Ich wurde mit der Undankbarkeit derjenigen bestraft, denen ich geholfen hatte. Die Pariser Gesellschaft (Pariser Gesellschaft für Spiritistische Studien) wurde zur Quelle ständiger Intrigen, die gegen mich von jenen geschmiedet wurden, die sich auf meiner Seite behaupteten und – obwohl freundlich in meinem Beisein – mir in meiner Abwesenheit in den Rücken fielen. (…) Ausruhen wurde mir zu einem Fremdwort. Mehr als einmal brach ich an übermäßiger Arbeit zusammen. Meine Gesundheit wurde beeinträchtigt und mein Leben gefährdet.

Dank aber dem Schutz und Beistand der guten Geistwesen, die mir stets klare Beweise ihrer Fürsorge gaben, habe ich die Freude anzuerkennen, dass ich niemals die kleinste Ohnmacht oder Mutlosigkeit empfand. Stattdessen erfüllte ich meine Aufgabe immer mit derselben Leidenschaft, ohne mir Gedanken über die gegen mich gerichtete Böswilligkeit zu machen. Laut der Mitteilung des Geistes Wahrheit sollte ich mit alledem rechnen und in der Tat bewahrheitete sich alles.

Doch abgesehen von diesen Drangsalen, was für eine Freude es jedes Mal für mich war, wenn ich feststellte, dass das Werk auf erstaunliche Weise wuchs! Mit welch schönen Erlebnissen meine Drangsale ausgeglichen wurden! Welche Segen und Gesten wahrer Sympathie ich von vielen leidenden Menschen bekam, die in der spiritistischen Lehre Trost fanden! Dieses Ergebnis hatte mir der Geist Wahrheit nicht verraten; er hatte mir, ohne Zweifel mit Absicht, nur die Schwierigkeiten des Weges gezeigt. Wie undankbar ich daher sein würde, wenn ich mich beklagte!

Wenn ich sagte, das Gute und das Böse glichen sich aus, dann würde es nicht die Wahrheit sein. Denn das Gute – ich meine die von mir erlebten Freuden – übertraf das Böse um ein Vielfaches.

Als seine Arbeit größtenteils abgeschlossen war und die Ausmaße eines Buches angenommen hatte, beschloss Rivail, vor deren Veröffentlichung die von ihm gesammelten Informationen mit Hilfe anderer Medien der Analyse weiterer Geistwesen zu unterziehen. So kam er auf die Idee, das von ihm gesammelte, geordnete und kommentierte Material zu den Sitzungen bei Herrn Roustan mitzunehmen. Nach einigen Sitzungen sagten die Geistwesen, dass sie den Inhalt dieses Materials lieber in einem kleineren Kreis durcharbeiten würden, um alle Ergänzungen und Korrekturen vorzunehmen, die sie für notwendig hielten. Dazu setzten sie die Tage und Uhrzeit für die Sitzungen fest, auf denen nur Ruth Japhet und Rivail teilnehmen sollten, damit dieser in Ruhe mit den Geistwesen zusammenarbeiten konnte, ohne durch die Indiskretionen und voreiligen Kommentare der anderen Leute gestört oder abgelenkt zu werden.

Dennoch gab sich Rivail nicht mit dieser Überprüfung zufrieden. Da er andere Medien kannte, nutzte er jede Gelegenheit, die sich bot, um durch sie andere Geistwesen zu befragen, vor allem zu Themen, die ihm am heikelsten und schwierigsten erschienen. Danach verglich er die empfangenen Antworten miteinander und prüfte, ob sie übereinstimmten oder nicht. Über zehn Medien wurden bei dieser Arbeit eingesetzt.

Am 11. September – kurze Zeit, bevor Rivail das Buch fertigstellte – befand er sich bei der Familie Baudin, als er durch eine der Töchter des Ehepaares folgende Botschaft erhielt:

“Du hast den Zweck deiner Arbeit gut verstanden. Der Plan ist gut konzipiert. (…) Weiter so! Denk aber vor allen Dingen daran, dass wir dir empfehlen, das Werk, sobald es fertiggestellt ist, zu veröffentlichen und zu verbreiten: Es ist zum allgemeinen Nutzen. Wir sind zufrieden und werden dich niemals verlassen. Hab Vertrauen zu Gott und mach weiter!

Später war Rivail sich nicht sicher, wie er das Buch unterschreiben sollte. Da sein Name aufgrund seiner pädagogischen Bücher bereits bekannt war und mit diesen in Verbindung gebracht wurde, entschied er sich für ein Pseudonym. So nahm er das Pseudonym Allan Kardec an, das laut einem befreundeten Geistwesen der Name Rivails in einem viele Jahrhunderte zurückliegenden früheren Leben gewesen war; zu einer Zeit, als er als Druide in Gallien (dem heutigen Frankreich) lebte.

Am 18. April 1857 veröffentlichte Rivail, der von nun an weltweit als Allan Kardec bekannt werden sollte, die erste Auflage von Das Buch der Geister. Gleich am Anfang von dessen Einleitung schrieb er, dass neue Dinge mit einem neuen Namen benannt werden sollten, um Missverständnisse zu vermeiden. Dabei meinte er, dass das seit der Zeit des Hydesville-Phänomens verwendete Wort Spiritualismus unpassend war, um die Beziehung zwischen der materiellen und der geistigen Welt sowie die von den Geistwesen übermittelten Lehren zu bezeichnen. Denn Spiritualismus, so argumentierte er, hat eine eigene ursprüngliche Bedeutung: Der Glaube, dass es im Menschen mehr als nur Materie gibt, im Gegensatz zum Materialismus. So beschloss er, einen neuen Begriff zu erfinden, nämlich Spiritismus - abgeleitet aus dem lateinischen Wort Spiritus (Geist) und dem Suffix –ismus (Lehre) - auch spiritistische Lehre genannt.

Das Buch der Geister sorgte für großes Aufsehen in Europa und in mehreren Ländern auf dem amerikanischen Kontinent. Noch bevor der berühmte französische Dramaturg Victorien Sardou es zu Ende las, schrieb er Kardec einen Brief mit folgenden lobenden Worten:

“Ich danke Ihnen, mein Herr, dafür, dass Sie mir Das Buch der Geister so schnell zukommen ließen. Ich hatte mich darauf gefreut, es zu lesen, so ließ ich alles andere beiseite, um mich voll und ganz dieser Lektüre zu widmen. Ich bin fast am Ende angelangt und kann schon jetzt meine Meinung über dieses Werk äußern: Es ist das interessanteste und lehrreichste Buch, das ich jemals gelesen habe. Es ist unmöglich, dass es keine große Resonanz finden wird: Alle großen Fragen der Metaphysik und der Moral sind darin zufriedenstellend erläutert. Alle großen Fragen finden dort eine Antwort, selbst jene, welche die berühmtesten Philosophen nicht beantworten konnten. Es ist das Buch des Lebens, der Wegweiser der Menschheit.

Nehmen Sie, mein Herr, mein Kompliment entgegen für die Art, wie Sie das von den Geistwesen gelieferte Material geordnet und sortiert haben: Alles ist vollkommen methodisch, alles fügt sich zusammen; und Ihre Einleitung ist ein Meisterwerk der Logik, der Argumentation und der Darlegung. (...)

Die erste Auflage, aufgeteilt in drei Teile mit insgesamt 501 Fragen und Antworten, wurde schnell ausverkauft. Die Zweite, erschienen im März 1860 und vollständig überarbeitet sowie erheblich erweitert, bestand aus vier Teilen mit insgesamt 1.019 Fragen und Antworten. Obwohl Kardec nicht für das Buch geworben hatte, wurde die zweite Auflage in nur vier Monaten ausverkauft.

 

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