Einige Klärungen aus 

Das Evangelium im Lichte des Spiritismus

(einem der Grundwerke der spiritistischen Lehre)

(Fortsetzung 1)

 

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Was ist der Spiritismus und wie ist er entstanden?

7)  Aber wenn ein Mensch stirbt, verliert er seine ganze Kraft; was wird aus ihm dann? (…) Wenn ein Mensch stirbt, wird er dann wieder leben? In diesem Kampf, in dem ich mich für alle Tage meines Lebens befinde, erwarte ich, dass meine Veränderung kommt. (Hiob 14, 10-14)

Wenn ein Mensch stirbt, verliert er seine ganze Kraft und verscheidet. Wo befindet er sich danach? (…) Wenn ein Mensch stirbt,wird er dann wieder leben? Ich werde für alle Tage meines Kampfes solange warten, bis irgendeine Veränderung stattfindet. (Hiob 14, 10-14. Protestantische Übersetzung durch Osterwald)

Wenn ein Mensch stirbt, lebt er weiter. Wenn die Tage meiner irdischen Existenz zu Ende gehen, werde ich warten, denn zu ihr werde ich zurückkehren. (Hiob 14, 10-14. Version der griechischen Kirche)

In diesen drei Versionen ist das Prinzip der mehrmaligen Existenzen des Menschen deutlich ausgedrückt. “Wenn ein Mensch stirbt, wird er dann wieder leben?“ Die Version der griechischen Kirche drückt es noch deutlicher aus: “Wenn die Tage meiner irdischen Existenz zu Ende gehen, werde ich warten, denn zu ihr werde ich zurückkehrenoder, mit anderen Worten: Ich werde zu der irdischen Existenz zurückkehren. Dieser Satz ist ebenso deutlich, wie wenn man sagen würde: “Ich gehe zwar aus meinem Haus, aber ich werde irgendwann dorthin zurückkehren.“

“In diesem Kampf, in dem ich mich für alle Tage meines Lebens befinde, erwarte ich, dass meine Veränderung kommt.“ Hiob meint hiermit den Kampf, den er gegen die Drangsale des Lebens führt. Er erwartet seine Veränderung, d.h. er rebelliert nicht.

In der griechischen Version scheint Hiob zu meinen, dass er auf eine neue Existenz auf der Erde warten werde: “Wenn die Tage meiner irdischen Existenz zu Ende gehen, werde ich warten, denn zu ihr werde ich zurückkehren.“ Offenbar behauptet Hiob, dass er sich nach seinem Tod irgendwo so lange aufhalten werde, bis die Zeit komme, auf die Erde zurückzukehren.

Es ist daher offensichtlich, dass das Prinzip der Reinkarnation unter dem Namen Wiederauferstehung zum Glauben der Juden gehörte. Dieses Prinzip wurde von einigen Propheten des Alten Testaments und sogar von Jesus selbst deutlich bestätigt. Wenn man eines Tages über die Worte Jesu ohne Vorurteile und vorgefasste Meinung nachdenkt, wird man ihre Wahrhaftigkeit in Bezug auf diesen Punkt und auch auf viele andere einsehen.

Außerdem, wenn man diese Lehre Jesu und das Leben des Menschen auf der Erde bedenkt, zeigt sich die Reinkarnation als eine absolute Notwendigkeit für die Menschheit. Nur das Prinzip der Reinkarnation kann dem Menschen zeigen, woher er kommt, wohin er geht und warum er vorübergehend auf der Erde ist. Es ist auch das einzige Prinzip, das ihm den Grund für alle scheinbaren Ungerechtigkeiten und Anomalien, die das Leben mit sich bringt, logisch und sinnvoll erklären kann[1].

Wenn man nicht berücksichtigt, dass die Seele jedes einzelnen Menschen bereits vor seiner Geburt existierte und, dass sie unzählige Male wieder auf der Erde leben wird, ist ein Großteil der im Evangelium beinhalteten Lehren unverständlich. Dies ist der Grund, warum es so widersprüchliche Interpretationen über diese Lehren gibt. Das Prinzip der Reinkarnation ist somit der Schlüssel, der ihren wahren Sinn verständlich macht.

Die Reinkarnation stärkt die Familienbande,

während die einmalige Existenz sie zerreißt

Die Familienbande werden nicht durch die Reinkarnation zerrissen, wie manche Leute denken. Im Gegenteil, sie werden noch weiter gestärkt. Es ist das Prinzip der einmaligen Existenz, d.h. das Prinzip, nach dem die Seele nur einmal auf der Erde lebt, das die Familienbande zerreißt. Im Folgenden wird erläutert warum:

In der geistigen Welt bilden die Geistwesen Gemeinschaften oder Familien, die sich durch die Zuneigung, Sympathie und ähnliche Neigungen miteinander verbunden fühlen. Das Leben, das sie auf der Erde führen, trennt sie nur vorübergehend voneinander, denn, sobald sie in die geistige Welt zurückkehren, treffen sie sich wieder, ähnlich wie Freunde nach der Rückkehr von einer Reise, auf der sich jeder an einem anderen Ort aufgehalten hatte.

Oft reinkarnieren sie mehr oder weniger zur selben Zeit auf der Erde, wo sie sich in derselben Familie oder in einem Bekanntenkreis wieder vereinigen, um zusammen für ihren gegenseitigen spirituellen Fortschritt zu arbeiten. Wenn die einen reinkarnieren und die anderen nicht, bleiben sie trotzdem gedanklich miteinander verbunden. Diejenigen, die in der geistigen Welt bleiben, unterstützen jene, die reinkarnieren. Die in ihrer spirituellen Entwicklung Fortgeschrittenen versuchen, den Nachzüglern bei ihrer spirituellen Entwicklung zu helfen, so dass nach jeder Existenz alle ein Stück weiter auf dem Weg zur spirituellen Vollkommenheit vorangekommen sind. Da sie sich immer weniger an die materiellen Dinge klammern, wird ihre gegenseitige Zuneigung immer intensiver. Denn diese wird immer weniger durch den Egoismus, den Stolz und Laster aller Art gestört. Sie können somit unzählige Male auf der Erde reinkarnieren, ohne dass ihre gegenseitige Zuneigung darunter leidet.

Man beachte, dass hierbei wahre Zuneigung gemeint ist: Die Einzige, die den Tod des materiellen Körpers überlebt. Denn die Menschen, die sich auf der Erde aus eigenem Interesse mit anderen verbinden, haben keinen Grund, sich in der geistigen Welt wieder zu sehen. Nur die spirituelle Zuneigung ist dauerhaft. Die körperliche Zuneigung erlischt, sobald das, was sie erzeugte, nicht mehr existiert, da die Ursache der körperlichen Zuneigung in der geistigen Welt nicht weiterbesteht. Die Menschen, die sich lediglich aus eigenem Interesse miteinander verbinden, bedeuten sich nichts: Der Tod trennt sie sowohl auf der Erde als auch in der geistigen Welt.

Die Zuneigung zwischen Verwandten ist ein Hinweis auf die Sympathie, die sie in früheren Leben einander näherbrachte. Dies ist der Grund, warum man das schwarze Schaf der Familie genannt wird, wenn man mit seinen nächsten Verwandten kaum Ähnlichkeiten aufweist. Gott erlaubt, dass Geistwesen, die verschieden und sich unsympathisch sind, in derselben Familie reinkarnieren aus zwei Gründen: als Prüfung für die einen und als Mittel des spirituellen Fortschritts für die anderen. Das heißt, diejenigen, die spirituell weniger entwickelt sind, werden durch den Kontakt mit denjenigen, die weiter entwickelt sind, ermutigt, sich zu bessern. So besänftigt sich ihr Charakter, ihre Gewohnheiten verfeinern sich und die gegenseitige Abneigung lässt nach.

Die Tatsache, dass ein Mensch etwa zehnmal reinkarnierte, bedeutet nicht, dass er in der geistigen Welt zehn Väter, zehn Mütter, zehn Ehefrauen bzw. Ehemänner und eine verhältnismäßig große Zahl von Kindern und Verwandten treffen wird. Dort wird er immer nur diejenigen treffen, zu denen er wahre Zuneigung hatte.

Betrachten wir jetzt die Folgen der Lehre der Nichtexistenz der Reinkarnation. Sie leugnet, dass die Seele des Menschen bereits vor seiner Geburt existierte. Das heißt, da die Seele, laut dieser Lehre, zur gleichen Zeit erschaffen werde wie der Körper, den sie bewohnt, gebe es zwischen den Seelen keine Sympathiebindung aus früheren Leben. Sie seien sich demnach völlig fremd. Die Eltern seien ihren Kindern fremd. Die Verbindung der Familien beschränke sich somit auf die rein körperliche Abstammung, ohne jede spirituelle Bindung. Durch die Reinkarnation hingegen können Vor- und Nachfahren sich bereits gekannt, zusammengelebt und sich geliebt haben. Sie können sich später wieder treffen, um ihre Sympathiebindung noch weiter zu stärken.

Außerdem, laut einer der am weitesten verbreiteten Glaubenslehren, die auf dem Prinzip der Nichtexistenz der Reinkarnation beruhen, sei das Schicksal der Seelen nach einer einzigen Existenz unwiderruflich festgelegt. Die endgültige Festlegung des Schicksals bedeutet die Unmöglichkeit der Weiterentwicklung und somit des Fortschritts. Denn, damit man irgendeinen Fortschritt erlangt, muss die Möglichkeit, sich zu bessern, vorhanden sein. Je nachdem, wie man auf der Erde gelebt hat, gehe seine Seele nach dem Tod direkt zum Ort der Glückseligen oder in die Hölle, wo man für immer leben werde. Das heißt, laut diesem Glauben könnten Eltern und Kinder, Ehemänner und Ehefrauen, Geschwister und Freunde nie genau wissen, ob sie sich nach dem Tod jemals wiedersehen werden: Es ist der völlige Bruch der Familienbande.

Laut der Reinkarnationslehre hingegen treffen sich alle, die sich einmal geliebt haben, eines Tages sowohl auf der Erde als auch in der geistigen Welt wieder, und entwickeln sich zusammen auf dem Weg zu Gott weiter. Wenn einige auf dem Weg stolpern, verlangsamen sie ihren spirituellen Fortschritt und verzögern ihr Glück, dennoch ist es nicht das Ende. Getröstet, ermutigt und unterstützt von denjenigen, die sie lieben, werden sie eines Tages ihren spirituellen Fortschritt fortführen. Mit der Reinkarnation gibt es schließlich Solidarität zwischen inkarnierten und desinkarnierten Geistwesen, wodurch sich ihre Zuneigungsbande immer mehr festigen.

Zusammenfassend gibt es vier Alternativen für die Zukunft des Menschen nach dem Tod:

1)   das Nichts, laut der materialistischen Lehre;

2)   die Aufnahme der Seele in das universelle Ganze, laut der pantheistischen Lehre;

3)   das Schicksal des Menschen sei endgültig festgelegt, ohne Möglichkeit der Änderung und des Fortschritts, laut der kirchlichen Lehre;

4)   die Seele entwickelt sich, gemäß ihren eigenen Anstrengungen, kontinuierlich und auf unbestimmte Zeit weiter, laut der Reinkarnationslehre.

Laut der materialistischen und der pantheistischen Lehre zerreißen die Familienbande bei dem Tod, denn den Seelen bleibe keine Hoffnung, sich jemals wiederzusehen. Laut der 3. Alternative gebe es für sie die Möglichkeit, sich wiederzusehen, solange sie sich nach dem Tod zu demselben Ort begeben, der entweder die Hölle oder das Paradies sein könne. Allerdings, mit den mehrmaligen Existenzen durch die Reinkarnation, die wiederum erforderlich ist, damit sich der Mensch allmählich moralisch und intellektuell weiterentwickeln kann, besteht die Gewissheit der Fortdauer der Beziehungen zwischen jenen, die sich schätzen und lieben, was ihre Zuneigungsbande nicht nur bewahrt, sondern sie auch noch stärkt.

Ein einfacher Vergleich soll die Notwendigkeit der Reinkarnation verdeutlichen: Der Schüler kommt erst in die Universität, nachdem er alle Schulklassen besuchte. Diese Klassen, welche Anstrengungen sie auch immer erfordern, sind für den Schüler der sicherste Weg, zu seinem Ziel zu gelangen, und keine Strafe, die ihm auferlegt wird. Wenn er fleißig ist, verkürzt er diesen Weg, auf dem er dann auf weniger Dornen trifft. Wenn er aber nachlässig und bequem ist, muss er dieselbe Klasse wiederholen.

So passiert es mit den Menschen auf der Erde: Es gibt diejenigen, die sich aufgrund ihrer eigenen Nachlässigkeit und Bequemlichkeit gezwungen sehen, ein irdisches Leben voller Drangsale zu führen, während andere, im Gegenteil, eifrig an ihrem moralischen und intellektuellen Fortschritt arbeiten. Diese können, je nach ihren Anstrengungen, die Zwischenstufen, die sie von den spirituell höher entwickelten und daher glücklichen Welten trennen, auf einmal überspringen.

Könnten aber die Geistwesen nicht jedes Mal in einer anderen Welt reinkarnieren? Dies wäre nur möglich, wenn alle Menschen auf der Erde auf genau derselben spirituellen Entwicklungsstufe stehen würden. Allerdings zeigen die Unterschiede, die es zwischen dem lasterhaftesten und dem tugendhaftesten Menschen gibt, wie viele Stufen den einen von dem anderen trennen. Außerdem, durch die Reinkarnation in derselben Welt will Gott, dass die Geistwesen, die sich in früheren Leben gegenseitig Schaden zufügten, die Gelegenheit bekommen, erneut aufeinander zu treffen, um sich zu versöhnen und den von ihnen verursachten Schaden wiedergutzumachen. Schließlich will er auch, dass die Menschen, im Laufe vieler Reinkarnationen, ihre Zuneigungsbande stärken, indem sie auf der Grundlage der Solidarität, der Brüderlichkeit und der Gleichheit miteinander umzugehen lernen.

 


[1] Siehe das Kapitel 4 im Teil 2 von Allan Kardecs Das Buch der Geister.

 

 

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