Die unmittelbaren Vorläufer des Spiritismus:
Das Hydesville-Phänomen
Literatur
Fragen oder Anregungen

Im Dezember 1847 zogen der Schmied John Fox, seine Frau Margaret und die zwei jüngsten Töchter des Ehepaares, nämlich die 11-jährige Kate und die 14-jährige Maggie, in ein bescheidenes Holzhaus, gelegen in einem Dorf namens Hydesville im US-Bundesstaat New York.

Mitte März 1848 wurde die Familie in ihrem kürzlich bezogenen Haus durch ein seltsames und beunruhigendes Phänomen heimgesucht: Sie hörte Geräusche und Klopflaute ohne bekannte Ursache in den Wänden, in der Decke und im Fußboden. Die Mädchen wurden so verängstigt, dass sie nur noch bei den Eltern im Schlafzimmer schlafen wollten. Am 31. März entschied sich die Familie, die aufgrund der Ereignisse seit Tagen nicht mehr in Ruhe schlafen konnte, sich früher schlafen zu legen, ohne sich von den Geräuschen stören zu lassen. Doch gerade an diesem Abend nahm das Klopfen eine solche Intensität an, dass die Möbel vibrierten. John suchte das ganze Haus innen und außen ab, ohne etwas Ungewöhnliches zu finden. Da aber geschah etwas, was noch beeindruckender war als das geheimnisvolle Klopfen selbst: Die jüngere Tochter, Kate, die mittlerweile bereits an das Phänomen gewöhnt war, begann die Klopflaute nachzuahmen, indem sie in die Hände klatschte, und sagte in einem herausfordernden Ton:

»Mr. Splitfoot[1], mach mich nach«

Augenblicklich wurden so viele Klopflaute gehört, wie sie geklatscht hatte. Sobald sie mit dem Klatschen aufhörte, hörte auch das Klopfen auf. Dann sagte Maggie aus Spaß:

»Jetzt mach mir genau das nach: Zähl eins, zwei, drei, vier.« Dabei klatschte sie so oft in die Hände wie die Zahl, die sie gerade sprach. Anschließend wiederholten die Klopflaute ihre Klatsche, was Maggie in solche Angst versetzte, dass sie sofort mit dem Spiel aufhörte.

Margaret, die alles beobachtete, kam auf die Idee, einen Test durchzuführen, den kein Fremder würde bestehen können: Sie fragte den Urheber der Klopflaute nach dem Alter all ihrer Kinder. Das Ehepaar hatte einige Kinder, die bereits erwachsen waren und nicht mehr bei sich wohnten. Sofort wurde das korrekte Alter jedes Einzelnen angegeben. Margaret fragte:

»Ist es ein Mensch, der mir so korrekt antwortet?« Aber es kam keine Antwort.

»Ist es ein Geistwesen? Wenn ja, dann klopf zweimal.« Und zweimal wurde geklopft, sobald sie zu Ende sprach. Dann sagte sie:

»Falls du ein Geistwesen bist, das ermordet wurde, klopf zweimal.« Augenblicklich wurde zweimal so stark geklopft, dass das Holzhaus dabei vibrierte. Anschließend fragte sie:

»Wurdest du in diesem Haus ermordet?« Und die Antwort kam wie vorher.

Als die Nachbarn herbeigerufen wurden, waren sie Zeugen des gleichen Phänomens. Das Haus wurde überwacht und nach dem Urheber der Klopflaute abgesucht, dennoch wurde nichts Verdächtiges gefunden.

Ein Nachbar namens William Duesler kam auf die Idee, eine andere Kommunikationsmethode zu verwenden. Sie bestand darin, das Alphabet aufzusagen, nachdem das Geistwesen gebeten worden war, jedes Mal zu klopfen, wenn der gerade gesprochene Buchstabe im Aufbau des Wortes, das es als Antwort auf die gestellte Frage übermitteln wollte, an der Reihe war. Das war die Geburtsstunde der sogenannten “spirituellen Telegrafie. Durch diese Methode erhielt man diverse Informationen über die Geschichte jenes Geistwesens wie zum Beispiel: dass es fünf Jahre zuvor in einem Zimmer des Hauses von einem ehemaligen Hausbewohner namens John Bell ermordet worden war, der seine Leiche in den Keller trug und sie erst am folgenden Abend begrub. Als das Geistwesen einige Tage später nach seinem Namen gefragt wurde, gab es zur Antwort: Charles Rosna.

Am 11. April jenes Jahres gab Margaret dem Journalisten E. E. Lewis ein Interview, bei dem sie alles schilderte, was sich in ihrem Haus am Abend des 31. März ereignet hatte. Da John Bell und seine Frau nicht mehr in der Region lebten, wurde Lucretia Pulver, die für das Ehepaar als junges Hausmädchen gearbeitet hatte, interviewt. Sie behauptete, sich an einen Hausierer zu erinnern, der eines Tages in jenem Haus untergebracht worden sei. Da hätten die Bells sie gebeten, zu ihren Eltern zu gehen, damit der Gast in ihrem Zimmer übernachten könne. Sie habe dem Hausierer ein paar Produkte abkaufen wollen, aber in dem Moment nicht genug Geld bei sich gehabt. Dann habe er ihr gesagt, er werde sie am nächsten Morgen bei ihren Eltern aufsuchen, um ihr dort die gewünschten Produkte zu verkaufen. Der Hausierer sei aber nicht erschienen und Lucretia habe ihn nie wieder gesehen.

Hunderte Neugierige besuchten das Haus und kommunizierten mit dem Geist von Charles Rosna. Margaret merkte, dass die Manifestationen nur in der Nähe von Kate und Maggie geschahen. Bald begannen Margaret, Maggie, Kate und Leah – eine andere Tochter des Ehepaares Fox – regelmäßige Sitzungen zur Kommunikation mit diversen Geistwesen abzuhalten, denen eine ausgewählte Gruppe von Freunden der Familie ebenfalls beiwohnte. Die dabei verwendete Kommunikationsmethode war dieselbe wie von William Duesler eingeführt. Viele der Geistwesen, die sich auf diesen Sitzungen manifestierten, behaupteten, verstorbene Freunde und Verwandte der Anwesenden zu sein und gaben ihnen gute Ratschläge, Trost, Erläuterungen und Beweise, dass sie trotz des Todes ihres Körpers weiterlebten. Während einer dieser Sitzungen übermittelten die Geistwesen folgende Botschaft:

“Liebe Freunde, ihr müsst der Welt diese Wahrheiten verkünden. Es ist der Anbruch einer neuen Zeit und ihr dürft es nicht länger verbergen. Wenn ihr eure Pflicht erfüllt habt, wird Gott euch beschützen und gute Geistwesen werden über euch wachen.

Darüber besorgt, angesichts eines so polemischen Themas, der Kritik und dem Spott der öffentlichen Meinung ausgeliefert zu sein, befolgte die Familie Fox diese Anweisung nicht.

Mitte 1848 entschied sich die Familie, mit Hilfe von Freunden die Leiche von Charles Rosna zu suchen. Bei den Grabungen im Kellerboden stießen sie auf Kohle, Kalk sowie Haare und Fragmente menschlicher Knochen. Da die aufgefundenen Gegenstände theoretisch absichtlich von der Familie Fox hätten eingegraben werden können, hielten sie viele Skeptiker für keinen Beweis dafür, dass sich der Geist eines ermordeten Hausierers tatsächlich manifestiert hatte. Außerdem wurde die Familie zur Zielscheibe heftiger Kritik und Intoleranz, vor allem von Menschen mit konservativen religiösen Einstellungen.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1849 baten die Geistwesen die Fox-Schwestern und ihre engsten Freunde eindringlich, der Welt die Wahrheit über die Unsterblichkeit der Seele zu verkünden. So betraten sie im November jenes Jahres das Theater Corinthian Hall, das Größte der Stadt Rochester im US-Bundesstaat New York, um dem neugierigen Publikum das Phänomen der Manifestation von Geistwesen, das in ihrer Anwesenheit geschah, vorzuführen. An drei aufeinander folgenden Tagen fanden drei Vorführungen statt, die von drei verschiedenen Komitees untersucht wurden. Deren Berichte deuteten auf die Echtheit des Phänomens hin.

Nach den Vorführungen im Corinthian Hall und den Untersuchungen, denen sich die Fox-Schwestern unterzogen, verbreitete sich ihr Ruhm jenseits der Grenzen von Rochester und der Nachbarstädte. Damit wuchs das öffentliche Interesse an der Kommunikation mit Geistwesen im gesamten Norden und Osten der USA, wo viele andere Gruppen begannen, sich zu diesem Zweck regelmäßig zu treffen, was zur Entstehung einer Bewegung führte, die 1852 Moderner Spiritualismus genannt wurde. Dieser war die amerikanische und später auch britische Variante des Spiritismus, der wiederum im Jahr 1857 in Paris entstehen sollte. In kurzer Zeit nannte man den Modernen Spiritualismus nur nochSpiritualismus und dessen Anhänger Spiritualisten.

Erst 56 Jahre nach dem Hydesville-Phänomen, das heißt, viele Jahre nach dem Tod von Kate, Maggie und Leah und nach mehreren erfolglosen Grabungen im Keller ihres Elternhauses veröffentlichte die Zeitung Boston Journal am 23. November 1904 folgenden Artikel:

“Das Skelett des Mannes, von dem man glaubte, die Klopflaute erzeugt zu haben, welche die Fox-Schwestern zuerst im Jahr 1848 hörten, wurde in den Wänden des Hauses aufgefunden, in dem die Schwestern wohnten. Das befreit sie vom letzten Zweifel, den es immer noch an ihrer Ehrlichkeit über die Entdeckung der Kommunikation mit Geistwesen gab.

Die Fox-Schwestern hatten behauptet, mit dem Geist eines Mannes kommunizieren gelernt zu haben und dass dieser ihnen mitgeteilt habe, er sei ermordet und im Keller begraben worden. Wiederholte Grabungen konnten die Leiche nicht finden, so dass ein greifbarer Beweis für ihre Behauptung fehlte.

Der Fund wurde von Schulkindern gemacht, während sie im Keller des als “Spukhaus bekannten Hydesville-Hauses spielten, wo die Fox-Schwestern die Klopflaute gehört hatten. William Hyde, ein respektabler Bürger aus Clyde und Besitzer jenes Hauses, forschte nach und fand ein beinahe vollständiges Skelett zwischen dem Erdboden und den Trümmern der Kellerwände. Zweifellos gehört es jenem Hausierer, der, wie man sagte, im Ostzimmer des Hauses ermordet und dessen Leiche im Keller begraben worden war.

Herr Hyde benachrichtigte die Verwandten der Fox-Schwestern und die Nachricht des Fundes wurde an den Nationalverband der Spiritualisten gesandt, von denen sich viele an ihre Pilgerfahrt zum “Spukhaus – wie es normalerweise genannt wird – erinnern. Der Fund der Knochen belegt praktisch die Aussage, die Margaret am 11. April 1848 unter Eid machte.

  



[1]   Mr. Splitfoot bzw. Old Man Splitfoot ist in den USA eine volkstümliche Bezeichnung für den Teufel. Da der Familie Fox die Umstände des Phänomens unheimlich waren, wandte sich Kate auf diese Weise an den Urheber der geheimnisvollen Klopflaute.

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