Literatur
Fragen oder Anregungen

Unten ist ein ausgewählter Artikel aus der

Oktober 1858-Ausgabe der von Allan Kardec herausgegebenen

Spiritistischen Zeitschrift

 

 

Ein Erscheinungsphänomen 

 

Basierend auf Berichten, die in US-amerikanischen Zeitungen erschienen waren, veröffentlichten die französischen Zeitungen Constitutionnel und Patrie einen Artikel über folgendes Ereignis:

“In der kleinen Stadt Lichtfield im Bundesstaat Kentucky gibt es zahlreiche Anhänger des (…) Spiritualismus[1]. Ein unglaubliches Ereignis, das vor kurzem dort geschah, wird zweifellos erheblich dazu beitragen, dass die Anzahl der Anhänger dieser neuen Religion zunimmt.

Die Familie Park bestehend aus dem Vater, der Mutter und drei Kindern (…) war vom spiritualistischen Glauben stark geprägt. Im Gegensatz zu ihnen schenkte Frau Harris eine Schwester von Frau Park den übernatürlichen Wundern, von denen man so oft sprach, keinen Glauben. Diese Tatsache bereitete der ganzen Familie Kummer und trübte nicht selten die harmonische Beziehung zwischen beiden Schwestern.

Vor einigen Tagen wurde Frau Park von einer plötzlichen Krankheit befallen, welche die Ärzte von Anfang an behaupteten, nicht heilen zu können. Die Patientin litt an Halluzinationen und wurde stets von einem furchtbaren Fieber geplagt. Frau Harris hielt jede Nacht bei ihr Wache. Am vierten Tag ihrer Erkrankung setzte sich Frau Park plötzlich auf, bat um etwas zu trinken und begann, sich mit ihrer Schwester zu unterhalten. So seltsam es auch erscheinen mag: Ihr Fieber war auf einmal verschwunden, ihr Puls war regelmäßig und sie sprach mit großer Leichtigkeit. Frau Harris war darüber sehr glücklich in dem Glauben, dass ihre Schwester von da an außer Lebensgefahr sei.

Nachdem Frau Park über ihren Mann und ihre Kinder gesprochen hatte, rückte sie ihrer Schwester näher und sagte zu ihr:

»Arme Schwester, ich werde dich verlassen. Ich spüre, wie sich der Tod nähert. Aber wenigstens wird mein Fortgang von dieser Welt dazu dienen, dich zu bekehren. Ich werde in einer Stunde sterben und morgen bestattet werden. Sorge aber dafür, meinen Leichnam nicht zum Friedhof zu begleiten, denn mein Geist (…) wird dir erscheinen, bevor mein Sarg mit Erde bedeckt wird. Dann wirst du endlich an den Spiritualismus glauben.«

Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, legte sich die Kranke ruhig wieder hin. Eine Stunde später stellte Frau Harris aber schmerzhaft fest, dass das Herz ihrer Schwester, so wie sie es vorausgesagt hatte, nicht mehr schlug.

Sehr gerührt durch die erstaunliche Erfüllung der prophetischen Worte der Toten, beschloss Frau Harris, der ihr gegebenen Anweisung zu folgen. So blieb sie am nächsten Tag allein zu Hause, während sich alle anderen auf den Weg zum Friedhof machten. Nachdem sie die Fensterläden des Zimmers geschlossen hatte, setzte sie sich auf einen Sessel nahe am Bett, von dem der Leichnam ihrer Schwester gerade fortgetragen worden war.

“Fünf Minuten waren vergangen“, erzählte Frau Harris später, “als ich klar und deutlich sah, wie hinten in der Wohnung eine Art weiße Wolke erschien. Nach und nach ließ sich die Gestalt besser erkennen: Es handelte sich um die Gestalt einer halbverschleierten Frau. Sie kam langsam auf mich zu; ich erkannte das Geräusch leichter Schritte auf dem Fußboden. Schließlich trafen meine verblüfften Augen auf meine Schwester...

Ihr Gesicht – weit davon entfernt, diese matte Blässe zu haben, die bei den Toten so einen betrüblichen Eindruck macht – war strahlend. Ihre Hände, deren Druck ich bald auf meinen zu spüren bekam, fühlten sich ebenso warm an wie, als sie noch lebte. Durch diese wunderbare Erscheinung fühlte ich mich wie in einer anderen Welt. Da ich glaubte, bereits in der geistigen Welt zu sein, befühlte ich mir den Brustkorb und den Kopf, um mich zu vergewissern, dass ich doch noch am Leben war. Dennoch gab es an diesem Erlebnis nichts Unangenehmes.

Nachdem sie, lächelnd aber stumm, für fünf Minuten so vor mir gestanden hatte, sagte meine Schwester – scheinbar unter großer Anstrengung – mit sanfter Stimme Folgendes zu mir:

’Es ist Zeit, dass ich gehe: Der Engel, der mich führt, wartet auf mich. Auf Wiedersehen! Ich habe mein Versprechen erfüllt. Glaube und warte!’ “

Die Zeitung Patrie fügte hinzu: “Die Zeitung, von der dieser wunderbare Bericht stammt, verrät nicht, ob sich Frau Harris zu den Lehren des Spiritualismus bekehrte. Dies ist aber anzunehmen, da sich viele Menschen von weniger würden überzeugen lassen.“

Über diesen Bericht möchte ich (Allan Kardec) nur hinzufügen, dass nichts an ihm diejenigen erstaunen würde, die bereits über die Wirkungen und Ursachen der spiritistischen Phänomene[2] gelesen haben. Es gibt zahlreiche authentische Ereignisse dieser Art, die in vielen anderen Fällen, in denen ich über das Thema schrieb, erklärt wurden. Bei Gelegenheit werde ich welche zitieren, die nicht so weit weg stattfanden, wie die in diesem Bericht geschilderte Geschichte[3].

 

 



[1] Der Spiritualismus ist die US-amerikanische und britische Version des Spiritismus. Eine der größten Abweichungen zwischen beiden ist die Tatsache, dass die Reinkarnationslehre ein wichtiges Prinzip der spiritistischen Lehre ist, die aber nicht vom Spiritualismus anerkannt wird.

 

[2] Spiritistische Phänomene sind jene, die durch die Einwirkung der Seele oder von Geistwesen hervorgerufen werden.

[3] Zum Thema “Erscheinungen“ empfiehlt sich die Lektüre des Kapitels 6, betitelt “Sichtbare Manifestationen“, von Das Buch der Medien.

 

 

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Spiritistische Zeitschrift

(Ausgabe vom Oktober 1858)