Einige Klärungen aus dem Buch Himmel und Hölle
(einem der Grundwerke der spiritistischen Lehre)
(Fortsetzung 15)
Max, der Bettler
In einem bayrischen Dorf starb um das Jahr 1850 ein beinahe hundertjähriger Greis,
bekannt unter dem Namen “Vater Max”. Da er keine Verwandten hatte, kannte niemand seine Herkunft. Seit etwa 50 Jahren hatte er – infolge
von Krankheiten, die ihn arbeitsunfähig gemacht hatten – keine andere Wahl, als seinen Lebensunterhalt dadurch zu verdienen, dass
er auf Gutshöfen und Schlössern Bücher und kleine Gegenstände verkaufte. Man gab ihm den Spitznamen “Graf Max” und die Kinder nannten
ihn “Herr Graf”, worüber er lächelte, ohne es übelzunehmen. Aber warum dieser Titel? Darauf hatte niemand eine Antwort. Es war einfach
zur Gewohnheit geworden. Vielleicht lag es an seinen Gesichtszügen und Umgangsformen, deren Vornehmheit im Gegensatz zu seinen Lumpen
stand.
Mehrere Jahre nach seinem Tod erschien Max, im Traum, der Tochter des Besitzers eines Schlosses, in dessen Pferdestall er zu
Lebzeiten untergebracht gewesen war, da er keine eigene Wohnung hatte. Er sagte zu ihr:
“Ich danke dir, dass du in deinen Gebeten an
den alten Max gedacht hast, denn sie wurden von Gott erhört. Du, wohltätige Seele, die Du dich für den armen Bettler interessierst.
Da du wissen möchtest, wer ich bin, werde ich deinen Wunsch erfüllen. Es wird für alle eine große Lehre sein: Vor ungefähr 150 Jahren
war ich in dieser Gegend ein reicher und mächtiger Herr, aber eitel, hochmütig und stolz auf meinen Adel. Obwohl ich ein riesiges
Vermögen besaß, reichte es ihm kaum zur Befriedigung all meiner weltlichen Vergnügungen aus, da mein Leben ausschließlich aus Glücksspielen,
Ausschweifungen und Orgien bestand. Meine Lehnsleute, die ich dafür bestimmt glaubte, mir zu dienen wie Nutztiere auf einem Gutshof,
wurden ausgebeutet und misshandelt, um für meine verschwenderischen Ausgaben aufzukommen. Ich blieb taub für ihre Klagen, wie für
die aller leidenden Menschen, und dachte, dass sie sich sehr geehrt dafür fühlen sollten, meinen Willen erfüllen zu dürfen.
Ich starb
frühzeitig, durch meine Ausschweifungen erschöpft, aber ohne irgendein wahres Unglück im Leben erlitten zu haben. Im Gegenteil, alles
schien mir zuzulächeln, so dass mich jeder für einen dieser wenigen Menschen hielt, die auf der Welt tatsächlich glücklich sind. Ich
hatte ein pompöses Begräbnis und die Lebemänner bedauerten den Tod des reichen Herrn, aber in Wahrheit wurde keine einzige Träne über
meinem Grab vergossen, kein ernst gemeintes Gebet wurde für mich an Gott gerichtet und mein Andenken wurde von allen verwünscht, deren
Elend ich vergrößert hatte. Ach, wie schrecklich ist die Verwünschung derjenigen, die man unglücklich gemacht hat! Sie hallte in meinen
Ohren für viele Jahre, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, wider! Und beim Tod jedes meiner Opfer stellte sich eine drohende oder
höhnende Gestalt vor mich und verfolgte mich unermüdlich, ohne dass ich eine dunkle Ecke finden konnte, um mich ihrem Blick zu entziehen!
Nicht ein freundlicher Blick! Meine ehemaligen Ausschweifungsgefährten, unglücklich wie ich, mieden mich und schienen, mir mit Verachtung
zu sagen: “Jetzt kannst du unsere Vergnügungen nicht mehr bezahlen!”
Oh, da hätte ich soviel für einen Augenblick Ruhe oder ein Glas
Wasser gegeben, um den brennenden Durst zu löschen, der mich verzehrte! Aber ich besaß nichts mehr, und all das Vermögen, das ich
mit vollen Händen auf der Erde ausgegeben hatte, hat keinen Segen hervorgebracht, keinen Einzigen. Hörst du, mein Kind?
Schließlich,
müde und entkräftet, wie ein erschöpfter Reisender, der kein Ende für seine Reise sehen kann, rief ich aus: “Mein Gott, hab Mitleid
mit mir! Wann wird diese furchtbare Situation ein Ende haben?”
Da sagte mir eine Stimme, und zwar die Erste, die ich hörte, seit ich
die Erde verlassen hatte: “Sobald du willst!”
“Was muss ich dann machen, großer Gott?”, erwiderte ich. “Sag es ruhig, ich unterwerfe
mich allem!”
“Du musst bereuen
Und ich demütigte mich: Ich bat meine Lehnsleute
und Diener, die dort vor mir standen, für mich einzutreten, und ihre Gesichter wurden nach und nach wohlwollender, bis sie schließlich
verschwanden. Das war für mich wie ein neues Leben. Aus Verzweiflung wurde Hoffnung, und ich dankte Gott mit aller Kraft meiner Seele.
Die Stimme sagte zu mir:
“Fürst!”, worauf ich antwortete: “Hier gibt es keinen anderen Fürsten als den allmächtigen Gott, der die Hochmütigen
demütigt. Vergib mir, oh Herr (...)! Mach mich zum Diener meiner Diener, wenn es dein Wille ist.”
Einige Jahre später reinkarnierte
ich, aber diesmal in einer Familie armer Dorfbewohner. Meine Eltern starben, als ich noch ein Kind war, und so blieb ich allein und
ohne Unterstützung auf der Welt. Ich verdiente meinen Lebensunterhalt so gut ich konnte: mal als Handlanger, mal als Knecht, aber
immer auf aufrichtige Weise, denn diesmal glaubte ich an Gott. Als ich 40 war, lähmte eine Krankheit all meine Gliedmaßen, so musste
ich von da an für mehr als 50 Jahre auf den Ländereien betteln gehen, deren absoluter Herr ich einst gewesen war. Ich bekam ein Stück
Brot auf den Gutshöfen, die ich besessen hatte, und wo mir der spöttische Spitzname “Herr Graf” gegeben wurde. Oft war ich sehr froh
darüber, im Pferdestall des Schlosses, das mir gehört hatte, eine Unterkunft zu finden. In meinem Schlaf wanderte ich gern durch das
Schloss, in dem ich despotisch geherrscht hatte. So oft träumte ich, dass ich mitten unter meinen ehemaligen Reichtümern war! Als
ich aufwachte, hinterließen mir diese Visionen ein Gefühl von Bitterkeit und Traurigkeit, dennoch entschlüpfte meinem Mund niemals
eine Klage. Und als Gott beschloss, mich wieder zu sich zu holen, habe ich ihn gepriesen, mir den Mut gegeben zu haben, ohne Murren
diese lange und beschwerliche Prüfung zu ertragen, für die ich heute belohnt werde. Dich, mein Kind, segne ich dafür, dass du für
mich gebetet hast!”